Projekt: Wissenschaft – Kunst – Demokratie
An den Ufern türmt es sich bereits, das Meer der Unterdrückten,
die endlich wieder selber drücken dürfen, von unten nach oben
und dann, erst recht, von oben nach unten.
Von wo gedrückt wird, dort ist das Volk. ...
Der Herr wird bald kommen,
oh, ich sehe, er ist sogar schon da!
aus: Elfriede Jelinek: Endsieg
Der Forschungsschwerpunkt Wissenschaft – Kunst – Demokratie fragt nach der Rolle von Wissenschaft und Kunst angesichts der Erosion demokratischer Verbindlichkeiten und des globalen Erstarkens von populistischen Politiken und autoritären Kräften. Welchen Herausforderungen müssen sich Wissenschaft und Kunst sowie Kunstinstitutionen und Wissenschafts- und Kunst-Universitäten angesichts dieser Entwicklungen stellen? Welche Versäumnisse und Defizite müssen sie eingestehen, welche Verantwortung und Aufgaben sollen sie zukünftig übernehmen? Welche Strategien des Widerstands sind sinnvoll und notwendig – und mit welchen konkreten wissenschaftlichen und künstlerischen Praktiken?
Elfriede Jelinek analysiert in ihren Texten, wie antidemokratische Bewegungen grundlegende Freiheiten abschaffen und demokratische Kontrollinstanzen aushebeln. Sie demaskiert globale Mechanismen propagandistischer Massenmobilisierung und die Bereitschaft der Massen, sich von Bildern, Parolen und falschen Versprechen verführen zu lassen. Sie warnt vor der Zerstörung demokratischer Strukturen, der Regression auf traditionelle Geschlechterhierarchien und dem Erstarken rückwärtsgewandter ökonomischer und medialer Dynamiken, die sich mithilfe von Gewalt, Ausgrenzung sowie des Einsatzes manipulativer Sprachästhetiken und prophetisch-mythologisierender Rhetoriken etablieren.
Vor dem Hintergrund dieser Befunde geht der Schwerpunkt Wissenschaft – Kunst – Demokratie der Frage nach: Wie lassen sich Jelineks Befunde nutzen, um gegenwärtige Risiken für demokratische Strukturen zu beschreiben und zu befragen? Und welche Strategien können und sollten Wissenschaft und Kunst sowie Wissenschafts- und Kunstinstitutionen entwickeln, um sich den antidemokratischen Diskursen und Rhetoriken entgegenzustellen?
Ein erster Arbeitsfokus nimmt die Rolle von Wissenschafts- und Kunstuniversitäten in den Blick: Welche Rückwirkungen autoritärer Entwicklungen auf Universitäten zeigen sich? Welche Verantwortung kommt Universitäten angesichts der globalen Entwicklungen zu? Haben sie – nicht zuletzt durch ihre Selbstmarginalisierung – womöglich sogar einen Beitrag dazu geleistet? Was lässt sich daraus für die Zukunft lernen?
Ein zweiter Arbeitsfokus fragt nach dem Widerstandspotenzial von Universitäten in Zeiten der demokratischen Krise: Haben Universitäten eine politische Aufgabe und wenn ja, welche? Beschränkt sich ihre Funktion auf kritische Reflexion – oder sind sie auch zu aktivistischem Widerstand aufgefordert? Welche Strategien der Resilienz und der demokratischen Innovation haben sich angesichts autoritärer Tendenzen in der Vergangenheit für Wissenschafts- und Kunstinstitutionen bewährt?
Ein dritter Arbeitsfokus fragt danach, wie sich Kunst und Kunstinstitutionen angesichts der bedrohten demokratischen Souveränität und des Erstarkens autoritärer Kräfte positionieren sollen: Ist der demokratische Anspruch von Kunst ein symbolischer oder gar paternalistischer, während sie in Wahrheit nur noch in elitären Kunstkontexten praktiziert und rezipiert wird? Wird „politische Kunst“ in diesem Sinne nur noch als ästhetische Geste konsumiert, ohne realen Wirkungsanspruch? Und (wie) kann Kunst neue Formen demokratischer Imagination ermöglichen, ohne ihrerseits autoritäre und totalitäre Engführungen zu reproduzieren?
Ein vierter Arbeitsfokus fragt nach den konkreten ästhetischen und epistemischen Strategien von wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung, sich den antidemokratischen Tendenzen zu widersetzen. Der Fokus reflektiert über die Methoden und Verfahren von Wissenschaft und Kunst, antidemokratische Entwicklungen zu analysieren, zu kritisieren und zu subvertieren. Welche gemeinsamen oder spezifischen Methodiken, Techniken und Methoden existieren in der Wissenschaft und in den Künsten, aufklärerisches, demokratisches Wissen zu produzieren und zu fördern und damit neue politische Denk- und Wahrnehmungsräume zu eröffnen?
Methodisch macht der Forschungsschwerpunkt Wissenschaft – Kunst – Demokratie die bei Jelinek angelegte Künste-übergreifende und intermediale Vernetzung zum Programm und initiiert wissenschaftlich-künstlerische Austauschformate und interdisziplinäre und internationale Symposien und (Nachwuchs-)Workshops mit dem Ziel, innovative Forschungsansätze und experimentelle Forschungsformate an den Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst zu entwickeln, die die Teilergebnisse reflektierend miteinbeziehen. Die beteiligten Wissenschaftler*innen und Künstler*innen sind Mitglieder der Universität Wien und der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, International Scientific Partner des Interuniversitären Forschungsnetzwerks Elfriede Jelinek sowie weitere internationale Kunstschaffenden, Expert*innen und Kooperationspartner*innen.
Die Ergebnisse des Projekts werden laufend im Open Access auf der Homepage des Interuniversitären Forschungsnetzwerks Elfriede Jelinek und auf dessen Portal zu Wissenschaft und Kunst öffentlich gemacht sowie am Ende des Forschungsschwerpunkts in einer Buchpublikation publiziert.